Karins Quilt

Wir fahren in ein kleines Dorf namens Tramelan im Jura, um Karin Gerber-Bartel zu besuchen. Karin ist seit mehreren Jahren Teil einer Quiltgruppe in Mont Tramelan. Einmal pro Woche treffen sich dort Frauen in einer alten Schule, um Quilts zu nähen, die sie dann an das MCC zur Verteilung geben. Flucht vor Gewalt und Krieg - das kennt Karin nur zu gut. Als sie 1945 von Unterberg in Preussen in einem Pferdewagen mit Mutter, Grosseltern und Geschwistern fliehen musste, war sie 8 Jahre alt. Sie kamen zunächst bis Danzig, doch der Krieg folgte ihnen.

Bild einer Frau am Quilten

Karin arbeitet an einem Quilt für Syrien.

(Foto: Nelly Gerber-Geiser)

«Eines Tages waren wir draussen und eine Bombe fiel auf uns», erzählt Karin. «Meine Finger, Hände und Hüfte wurden durch eine Granate verletzt. Meine dreijährige Schwester war bei mir.» Ihre kleine Schwester starb durch die Detonation der Bombe. Karin selbst trägt noch heute die Narben der Verletzung und streckt ihre linke Hand aus, an der die Fingerspitzen fehlen.

Ihre Familie versuchte damals verzweifelt, vor der Gewalt zu fliehen und ging deshalb auf ein kleines Boot, ohne zu wissen, wo es hinfuhr. Es brachte sie zu einem grösseren Schiff mitten in der baltischen See und die kleine Karin kletterte über eine Leiter an Bord. Das Schiff nahm sie mit nach Dänemark, wo sie die nächsten drei Jahre in 5 verschiedenen Flüchtlingslagern lebten – ohne den Vater, der in Kriegsgefangenschaft war.

Während ihrer Zeit in diesen Flüchtlingslagern bekam die Familie Hilfsgüter vom mennonitischen Hilfswerk (MCC), was grosse Freude auslöste. Karin erinnert sich, dass ihre Mutter mit den Zutaten aus den Hilfspaketen einen «Lagerkuchen» buk und andere Flüchtlinge zu «Kaffee und Kuchen» einlud. «Der Kaffee war ganz dünn, weil wir ihn streckten, damit er für alle reichte», erzählt Karin.

Bild vom Qilt von Karins Nachbarin

Karins Nachbarin Ilse, ebenfalls ein Flüchtling von 1945, bewahrte die Decke, die sie nach ihrer Flucht von MCC erhalten hatte, bis zu ihrem Tod auf.

Jahrzehnte später lebt Karin nun in der Schweiz und möchte zurückgeben, was sie selbst an Gutem erlebt hat. Deshalb näht sie Quilts in ihrer Nähgruppe.

Karin zeigt ein Foto von der Verteilung der Quilts in Syrien. Darauf sieht man einen der Quilts, den ihre Nähgruppe gemacht hat. Sie lächelt stolz und sagt: «Wenn ich die aktuellen Nachrichten über Syrien höre, sehe ich den Schmerz der Menschen und ihr Leid – dann sehe ich die einzelnen Menschen und frage mich, was sie wohl durchmachen.» Sie ist dankbar um das Foto, weil es zeigt, wie sehr sich die Empfänger freuen. «Es freut mich, etwas weiterzugeben. Ich habe im Leben gelernt, dass wir das, was wir haben, nicht ungenutzt lassen, sondern teilen sollen...»

Momentan gibt es in der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden ca. 15 solche Quiltgruppen. Die Quilts werden dahin gebracht, wo grosse Not herrscht, etwa nach Syrien, Jordanien oder in den Libanon. Dort bringen sie Menschen, die vieles oder alles verloren haben, Freude und Schönheit. Die Decken liegen tagsüber in den Wohnräumen oder Zelten, sie werden an den Wänden aufgehängt oder als Raumteiler genutzt – manche Menschen nennen sie «Mennonitendecken».


Nach einem Bericht von Naomi & Doug Enns.