Ruedi Küentzli

Der Täuferarzt Ruedi Küentzli von Muhen im Aargau

"Im Jahr 1657 weilte ich mehrmals im Emmental. Man hatte mich als Täuferarzt gerufen, um in besonders schwierigen Krankheitsfällen zu raten und zu helfen. Um Schloss Trachselwald machte ich jeweils einen grossen Bogen, um nicht doch noch in einer der berüchtigten Zellen zu landen. Denn der Landvogt hatte aus Bern den Befehl erhalten, nach mir suchen zu lassen und mich gefangen zu nehmen."[1]

Bild eines mittelalterlichen Wundarztes

Der Wundarzt (aus: Johann Christoph Weigel, Abbildung der Gemein-Nutzlichen Haupt-Stande […], Regensburg 1698, Tafel zwischen den Seiten 132 und 133).

Eigentlich hat alles vor vielen Jahren mit der Krankheit meiner Frau angefangen.[2] Als nichts und niemand gegen ihre Schmerzen helfen konnte, habe ich selber angefangen, mich bei heilkundigen Personen umzuhören. Und weil meine Salben, Tinkturen und kleineren Eingriffe so erfolgreich waren, hat sich das bald herum gesprochen. Obwohl ich selber Täufer war, kamen immer mehr Menschen zu mir und baten mich für ihre Gebresten um Hilfe.

Dabei war für mich immer wichtig, kein Hokuspokus, sondern nur natürliche Mittel zu verwenden. Die Kranken habe ich stets ermahnt,"sy söllind den lieben Gott Inbrünstig anrüffen und bitten, er welle syn gedeyen zu der Artzney geben, damit dieselbige operiren [=wirken], und sy zu voriger gesundheit khomen mögint, dann one Gottes Seegen die üsserlichen Mittel umb sontst und vergebendts seigendt."[3]

Als Täufer war ich der Obrigkeit ja ohnehin verdächtig. Der reformierte Pfarrer von Schöftland hat mich prompt beim Landvogt angezeigt wegen meiner täuferischen Gesinnung. Und in Lenzburg war ich auch länger inhaftiert deswegen.  Als man mich aber ausweisen wollte, setzte sich die Bevölkerung in den Dörfern zu meinen Gunsten ein. Solange niemand da sei, der sich ebenso wie ich für ihr Wohlergehen im Falle von Krankheiten einsetze, sei es unverantwortlich, mich auszuschaffen.[4]

Es brauchte sicher Mut, sich für einen Täufer wie mich bei der Obrigkeit einzusetzen. Aber das Argument, dass etwas Wesentliches fehlen würde, wenn man Leute wie mich einsperrt und ausschafft, hat den Landvogt offenbar zähneknirschend zum Einlenken bewegt. Und mich natürlich gefreut.

Dass wir als Christen anderen Menschen beistehen und helfen sollen, wo immer wir können, das hatte in unseren täuferischen Gemeinden eine hohe Priorität. Und natürlich hat es uns gefreut, wenn unsere Hilfe in medizinischen und seelsorgerlichen Belangen auch ausserhalb unserer eigenen Kreise geschätzt wurde. Und nicht selten hat es uns vor der Ausschaffung und Deportation bewahrt.

Darum ist es wohl kein Wunder, dass auch im Bernbiet so viele von uns Täuferinnen und Täufern als beliebte Landärzte, als Hebammen oder Arzneyer tätig waren.[5]

Eigentlich hätten wir alle schon längst inhaftiert und deportiert werden sollen – aber Wertschätzung und Druck seitens der einfachen Bevölkerung haben die Gnädigen Herren in Bern manchmal dazu gezwungen, eine Ausnahme zuzulassen." [6]


[1] StABE, A II 440, 45 (10. Juni 1657).
[2] Vgl. dazu die Aussage von Küentzli aus dem Jahr 1645 in StABE, B III 194, 5.
[3] Vgl. dazu die Aussagen von Landvogt Gerold Grebel von Kyburg / ZH zum Täuferarzt Jacob Zehnder von Waltenstein aus dem Jahr 1634, in Universitätsbibliothek Basel, Handschriften VB Mscr F 72, Nr 3.
[4] Vgl. dazu die Aussagen des Lenzburger Landvogts von 1657, in StAAG, Bd.795, 833.
[5] Vgl. dazu auch das Beispiel von Ueli Galli von Eggiwil, wohl dem Vater des gleichnamigen bekannten Bauernkriegsführers: Auch er war ein Täuferarzt! StASO A1, No. 103, 348. Ulrich Berger, Der Lebensweg des Täufers und Schärers Ulrich Galli senior aus dem Eggiwil, in: Mennonitica Helvetica 32/33 (2009/2010), 190-236.
​​​​​​​[6] Vgl. zum Thema der Täuferärzte, Hanspeter Jecker, Im Spannungsfeld von Separation, Partizipation und Kooperation: Wie täuferische Wundärzte, Hebammen und Arzneyer das «Wohl der Stadt» suchten, in: Mennonitica Helvetica 39 (2016), 21-33.