Bendicht Brechtbühl
Bendicht Brechtbühl ist reformiert aufgewachsen, doch später schliessen er und seine Frau sich dem Täufertum an. Bald werden ihre Güter konfisziert. Nach mehreren Haftstrafen wird er 1710 an Eisen gekettet per Schiff auf Aare und Rhein ausgeschafft und nach Amerika verbannt.
Anfang des Lieds “Schabab”, Ein Geistliches Lieder=Büchlein, gedruckt in diesem Jahr.
Die holländischen Behörden dulden solche Deportationen nicht, und so kommt Brechtbühl unterwegs frei. Bald unterstützt er als Vermittler die niederländischen Taufgesinnten, die den verfolgten Schweizer Täufern helfen wollen. Seine hohe Akzeptanz, seine Sprachbegabung - er lernt in kurzer Zeit Niederländisch - und sein diplomatisches Geschick sind Gold wert! Auf der Suche nach Asylorten für die Flüchtlinge aus Bern leitet er 1711 eine Erkundigungstour bis ins Baltikum.
Das Kriegselend in Europa lässt schliesslich auch ihn auswandern: Seine letzten Lebensjahre verbringt Brechtbühl in Pennsylvania. Als er 1720 stirbt, hinterlässt er neben vielen Briefen und Übersetzungen auch ein eindrückliches Lied, das in einem Berner Gefängnis entstanden ist: Schabab.
Bendicht «Bäntz» Brechtbühl von Ranflüh (1666-1720) – Täuferältester, Liederdichter, Grenzüberschreiter
Seine Jugend und Kindheit hat Bendicht Brechtbühl in unmittelbarer Nähe von Schloss Trachselwald verbracht. Teils im Chrummholz im Heimisbach, teils im Unterdorf von Ranflüh.
Im Vordergrund das Dorf Rüederswil mit der Kirche, wo Bendicht Brechtbühl getauft worden ist. Im Hintergrund rechts, jenseits des Emme-Flusses, das Unterdorf von Ranflüh, wo er jahrelang gelebt hat.
Es war eine unruhige Zeit. Eine Zeit zerstörter Hoffnungen. Auch im Emmental, gerade im Emmental. Noch frisch waren die Erinnerungen an den Bauernkrieg von 1653. Der Kampf der ländlichen Bevölkerung für mehr Freiheiten war durch die Berner Obrigkeit blutig niedergeschlagen worden.
Es war aber auch eine Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs. Die Sehnsucht vieler Menschen nach Erneuerung in Kirche und Gesellschaft schuf sich Raum in neuen Bewegungen wie dem Pietismus. Im Emmental bildeten der reformierte Pfarrer Georg Thormann in Lützelflüh und sein Vikar Samuel Schumacher ein Zentrum dieses Neuaufbruchs.
Pfarrer Georg Thormann von Lützelflüh litt darunter, dass viele Menschen, die «mit Ernst Christen sein» wollten, glaubten, dies nur bei den Täufern tun zu können. In seinem Buch «Probierstein des Täufertums» (1693) versuchte er zu verhindern, dass noch mehr erneuerungswillige Gläubige den Reformierten davonlaufen und – wie Brechtbühl – zum Täufertum konvertieren.
Zahlreich waren damals die Stubenversammlungen, wo sich Menschen rund um Schloss Trachselwald zu Gebet, Psalmensingen und Bibellesen trafen, um «mit Ernst Christen zu sein». Brechtbühl gehörte allerdings zu denjenigen reformierten Kirchgenossen, die auf ihrer Suche nach einer tragfähigen Lebensorientierung nicht im Pietismus, sondern – vielleicht vermittelt durch seine Frau Barbara Meister aus Sumiswald – im Täufertum eine neue Heimat fanden.
Beim Geltstag nach dem Tod von Bendicht Brechtbühls Vater konfiszierte die Berner Obrigkeit 1692 die Anteile der beiden täuferischen Kinder Barbara und Bendicht. Bendicht als jüngster Sohn verlor namentlich seinen Anspruch auf den elterlichen Hof.
Schon bald wurde die Berner Obrigkeit auf Bendicht Brechtbühl aufmerksam. Immer wieder musste er untertauchen oder fliehen. Immer wieder wurde er aber auch inhaftiert und gebüsst. Weil er hartnäckig auf seinen Überzeugungen beharrte, wurde er ausgewiesen. Nach einer unerlaubten Rückkehr erneut aufgegriffen verbrachte er fast zwei Jahre in strenger Kerkerhaft, um schliesslich im März 1710 an Eisen geschmiedet auf einem Schiff rheinabwärts via die Niederlande nach Amerika deportiert zu werden.
1709 wurden in Eggiwil drei Kinder der täuferischen Eltern Bendicht Brechtbühl und Verena Meister zwangsgetauft: Magdalena (9), Ulrich (5) und Barbara (2).
Da die holländischen Behörden solche Ausschaffungen nicht tolerierten und sämtliche Häftlinge beim Überschreiten der Grenze freiliessen, wurde Brechtbühl von niederländischen Mennoniten eingeladen, in Amsterdam über die Zustände in seiner Heimat zu berichten. Hier im Originalwortlaut der Bericht über seine eigene Verhaftung, wie er ihn dort abgab:
«Es geschah im Jahre 1709, am 12. Januar, dass die Regierung von Bern frühmorgens sieben Gendarmen mit einem Beamten zu meinem Haus schickte. Dies erschreckte uns, so dass ich mit meiner Frau versuchte, mich zu verstecken. Ich versteckte mich unter einem Haufen Heu. Sie durchsuchten das Haus gründlich, kamen schließlich auch an das Heu und stachen mit Dolchen hinein, so dass sie mich berührten und spürten, dass jemand darunter war. Als ich dann herauskam, packten sie mich und fragten mich nach meinem Namen und ob ich ein Prediger sei, was ich ihnen bejahte. Dann brachten sie mich in die Wohnstube. Dort schlug mir einer der Beamten auf den Kiefer und fesselte mir die Hände hinter dem Rücken. Als sie mich aus dem Haus führten, weinten und schrien meine Kinder so erbärmlich, dass, wie man sagt, ein Herz aus Stein Mitleid hätte. Die Täuferjäger aber freuten sich sehr, mich gefangen genommen zu haben. So transportierten sie mich von dort mit zwei anderen Brüdern in die Stadt Bern und brachten uns ins Gefängnis. Dort waren wir durch den sehr langen und kalten Winter eingesperrt. Wenn wir etwas Wärme haben wollten, mussten wir teuer für das Holz bezahlen. Nach etwa sechs oder sieben Tagen verlegten sie mich in ein anderes Gefängnis; dort legten sie mich in Ketten. Inzwischen hatte die Regierung denjenigen, die mich gefangen genommen hatten, 100 Taler gegeben, die meine Familie aus dem eigenen Besitz zurückzahlen musste. Nach zwei Tagen brachten sie mich zurück zum Turm, steckten mich in ein besonderes Loch und sperrten mich dort mit einer Eisenkette ein. Dort wurde ich achtzehn Wochen lang festgehalten. Von dort transportierten sie mich mit allen anderen Häftlingen in das Krankenhaus. Dort mußten wir von 4 Uhr morgens bis 20 Uhr abends an der Wolle arbeiten, und sie versorgten uns mit Brot und Wasser, obwohl wir keinen Mangel daran hatten. Das dauerte insgesamt fünfunddreißig Wochen. In den restlichen zehn Wochen war die Arbeit leichter, so dass die gesamte Zeit meiner Gefangenschaft in Bern ein Jahr, sieben Monate und sieben Tage betrug. Dies geschah in meinem 44. und 45. Lebensjahr.» [1]
Beim Bestreben der niederländischen Taufgesinnten, den verfolgten Glaubensverwandten in der Schweiz zu helfen, wurde Brechtbühl rasch zur zentralen Kontaktperson. Seine allseitig hohe Akzeptanz, seine Sprachbegabung - er lernte innert kurzem Niederländisch - und sein diplomatisches Geschick wurden rasch erkannt und waren Gold wert!
Doopsgezinde-Kirche Amsterdam, wo Brechtbühl 1710 über die Repression des bernischen Täufertums berichtete.
Als die Repression des bernischen Täufertums immer stärker wurde und 1711 gegen 500 einheimische Männer und Frauen dank der Unterstützung niederländischer Mennoniten ihre Heimat verliessen, spielte der mittlerweile im Kraichgau bei Heidelberg lebende Brechtbühl als Mittelsmann eine zentrale Rolle. Auf der Suche nach geeigneten Asylorten für die Flüchtlinge leitete er im Sommer 1711 eine ausgedehnte Erkundigungstour bis nach Ostpreussen und ins Baltikum.
Kurz darauf gehörte Brechtbühl zur wachsenden Zahl jener, die bei der pausenlosen Abfolge von Kriegselend und Hungersnöten in Elsass, Pfalz und Kraichgau nur noch in der Auswanderung nach Nordamerika einen Ausweg fanden. Die letzten Lebensjahre verbrachte Brechtbühl in Pennsylvania – dem Eldorado vieler aus Europa geflohener religiöser Nonkonformisten. Als er 1720 starb hinterliess er neben einer grossen Zahl von Briefen und Übersetzungen erbaulicher Texte aus dem Niederländischen auch das eindrückliche Lied Schabab, das er in einem Berner Gefängnis geschrieben hatte.
In der Ausstellung erklingen zwei Strophen des Liedes, so wie es im Roman «Passion in Bern» als von einem Peter Hertig geschrieben zitiert wird. Eine Melodie zu «Der schöne Maye», die zu dem Versmass von «Schabab» passt, ist momentan noch nicht aufgetaucht, darum wird hier die Melodie von «Durch Adams Fall ist ganz verderbt» verwendet.
Schabab, das ist ein Blümlein klein[2]
Lied von Bendicht Brechtbühl
Schabab, das ist ein Blümlein klein,
wuchs einst in Mutters Garten;
Doch raubt der Wind die Blättlein sein,
die blutig roten, zarten.
Schabab bin ich auch in der Welt,
von jederman verstossen,
auf Gott mein Hoffnung ist gestellt,
der wird mich nicht verlassen
Schabab wil ich viel lieber seyn,
dann daß ich solt verlassen,
was mir mein GOtt im Hertzen mein,
im Glauben gibt zu fassen,
wann schon die Welt mich gfangen haelt,
was ist daran gelegen,
ein kleine Zeit ist nimmer weit,
wird mir GOtt sein Reich geben.
Strophen 2 bis 5 aus Bendicht Brechtbühls Schabab-Lied von 1709.
[1] Statsarchief Amsterdam 565 A 1262 (Übersetzung aus dem Niederländischen HPJ).
[2] «Ein ander new geistlich Lied / Im Thon / wie der schoene Mäye», in: Ein Geistliches Lieder-Buechlein, «Gedruckt in diesem Jahr» (unpaginiert)., Ausführliche Hintergrundinformationen dazu in: Hanspeter Jecker, Bendicht Brechtbühl - 1666-1720, in: MENNONITICA HELVETICA 36 (2013), 105-158, 154f.
Für Details und die genauen Quellenbelege vgl. Hanspeter Jecker: Bendicht Brechtbühl (1666-1720). Täuferlehrer, Brückenbauer und Grenzüberschreiter aus dem Emmental, in: Mennonitica Helvetica 36 (2013), 105-158.