Durs Aebi und Margret Steiner

«Täufer waren in Bern nie willkommen. Aber es gab Zeiten, da konnte man – vor allem als Frau - einigermassen unbehelligt bleiben, so lange man sich ruhig und diskret verhielt. Und oft gab es Verwandte und Nachbarn, die einen deckten, wenn der Pfarrer im Dorf oder der Landvogt auf dem Schloss Verdacht schöpften.

Bild Täufergut-Urbars

Titelblatt des Täufergut-Urbars der Gemeinde Sumiswald.

«Auch für mich als Mann ging es lange gut. Denn als ich anno 1670 wegen meiner täuferischen Überzeugungen zum ersten Mal verhaftet und hier auf Schloss Trachselwald eingesperrt wurde, da war ich mit meinen 60 Jahren schon nicht mehr der Jüngste. Im Lauf der Jahre wurden mir immer mehr Aufgaben in unserer Täufergemeinde übertragen. In jener Zeit sehnten sich viele Menschen im Bernbiet nach einem besseren Leben, nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit, nach einem Abbau von Missständen in Politik, Gesellschaft und Kirche. Immer mehr suchten und fanden in täuferischen Kreisen Antworten auf ihre Fragen und traten unseren Gemeinden bei. Eigentlich erstaunlich! Denn vor allem seit dem Bauernkrieg von 1653 nahm die Verfolgung unserer Gemeindeglieder stark zu. Nirgends war man sicher, jede und jeden konnte es treffen. Das stürzte viele von uns in Not und Elend. Immer mehr wurde ich bei schwierigen Entscheidungen konsultiert, immer mehr Verzweifelte musste ich trösten, immer mehr suchten bei mir seelsorgerlichen Rat und biblische Wegweisung. Kein Wunder, dass da die Behörden auf mich als «Täuferlehrer» aufmerksam wurden.»

«Schon seit langem hatte man nach mir und meiner Frau Margret Steiner von Oberdiessbach gefahndet. Immer wieder entwischten wir den Häschern, oft erst im allerletzten Moment. Gegen die umfangreichen und systematischen Razzien der von Bern bezahlten Täuferjäger im Sommer 1670 waren wir dann allerdings machtlos.»[1]

Über Durs Aebis erste Lebensjahrzehnte ist wenig bekannt. Geboren wurde er um 1611, vielleicht in Rüegsau oder Affoltern. Ob und inwiefern er mit den spätestens seit den 1630er Jahren bekannten täuferischen Aebi aus Heimiswil in der Kirchgemeinde Oberburg verwandt war, ist nicht bekannt.[2] Noch 1643 wurde Durs Aebi in Sumiswald als reformierter Kirchgenoss angenommen, zu diesem Zeitpunkt dürfte er mit seiner Familie bereits auf Ober-Kneubühl gewohnt haben.[3] Wann und warum er und etliche Familienmitglieder in der Folgezeit täuferisch geworden sind, wissen wir leider nicht.

«Der erste Aufenthalt meines Mannes im feucht-kalten Kerker auf Schloss Trachselwald dauerte nur einige Wochen. Dann liess ihn der Landvogt nach Bern transferieren, wo man ihn fortan im Waisenhaus einsperrte. Gleichzeitig wurde übrigens auch unser Sohn Andres nach Bern transportiert: Man hatte inzwischen herausgefunden, dass auch er und seine Frau täuferisch waren. Und sehr rasch hatten die Behörden übrigens auch festgestellt, dass mein Mann und ich durchaus nicht arm waren und dass bei uns «etwas zu holen» war. Unser Heimwesen auf Ober-Kneubühl allein wurde auf 3680 Pfund veranschlagt und zusammen mit unserem übrigen Besitz schätzte man unser Vermögen auf 5000 Pfund.»[4]

Da Durs Aebi nicht widerrufen wollte, wurde er anfangs November 1670 als «Halsstarriger» ausgewiesen. Seinen Steckbrief sandte man in alle bernischen Aemter, um sicher zu stellen, dass er nicht anderswo Unterschlupf finden und seine täuferischen Überzeugungen propagieren konnte. Und tatsächlich wurde Aebi bereits Ende Juli 1671 wieder aufgegriffen. Nur infolge seines Alters entging er der Galeerenstrafe.[5] Diesmal wurde er im Tittlinger Turm in Bern inhaftiert.[6] Im Verlauf des Winters scheint ihm aber die Flucht gelungen zu sein, denn im Februar 1672 gehört er zu den Mitunterzeichnern eines Dank- und Bittbriefes, den täuferische Flüchtlinge aus der Pfalz und dem Kraichgau an die niederländischen Mennoniten schreiben. Darin berichten sie von einem Ultimatum der Berner Regierung, wonach alle Täuferinnen und Täufer binnen zweier Wochen das Land verlassen müssen – bei Strafe der Gefangenschaft, der Güterkonfiskation und der gewaltsamen Ausschaffung. Durs Aebi mit seiner Frau und vier verheirateten Kindern hatten sich offenbar dem Flüchtlingstreck angeschlossen und in Ehrstätt bei Heidelberg eine provisorische Bleibe gefunden.[7]

Wahrscheinlich waren die Eltern Aebi aber im Verlauf des Niederländisch-Französischen Krieges (1672-1678) aus dem Kraichgau geflüchtet, der dort Angst und Schrecken verbreitete und erneut weite Landstriche völlig verwüstete. Prompt wurden die beiden erneut im Bernbiet aufgegriffen, auf Schloss Trachselwald eingesperrt und wohl im Winter 1678/79 nach Bern geführt. Wiederum weigerte sich Aebi, seinem täuferischen Glauben abzuschwören. Nur wegen seines hohen Alters wurde er in der Folge nicht ausgeschmeitzt, sondern bloss mit einer strengen Verwarnung des Landes verwiesen.[8] Aber bereits im Januar 1680 wurden Durs Aebi und Margret Steiner erneut aufgegriffen. «Bloss infolge grösster Armut» seien sie wieder in ihre alte Heimat zurückgekehrt, protokollierte der Landvogt deren Aussagen und bat Bern um Weisung, was mit den beiden zu tun sei. Nach einer Ausschmeitzung mit Ruten und einem kleinen Zehrgeld, das man ihnen aus ihrem eigenen beschlagnahmten Gut gewährt, wurden die beiden im April 1680 erneut ausgeschafft.[9] Aber damit war die unendliche Geschichte noch längst nicht zu Ende. Waren es unverantwortliche Sturheit, schiere Verzweiflung und Auswegslosigkeit oder waren es Liebe zu den eigenen Verwandten oder der Ruf täuferischer Gemeinden nach ihrem Seelsorger, die Durs Aebi und Margret Steiner immer und immer wieder zu einer Rückkehr ins Bernbiet bewogen? Fakt ist, dass Aebis offenbar weitherhum beliebt waren und «in vielen Haushaltungen» verkehrten.[10] Fakt ist ebenfalls, dass sich der bekannte Zyklus von Gefangennahme – Inhaftierung – Ausschmeitzung – Ausschaffung im Herbst 1680, im Sommer 1681, im Herbst 1681 und im Herbst 1682 wiederholte.[11] Immer wieder scheint es Sympathisanten gegeben zu haben, die Mitleid mit dem älteren Ehepaar hatten und ihm Unterschlupf gewährten. Hans Reichard vom Weiler Heiligenland auf der Lueg etwa wurde deswegen im Frühjahr 1683 massiv bestraft.[12]

Damit war nun auch die Geduld der Berner Behörden definitiv am Ende. Durs Aebi wurde zu lebenslanger Haft im Berner Waisenhaus verurteilt. Die Kosten sollten aus seinem konfiszierten und hinter der Gemeinde Sumiswald liegenden «Täufergut» bestritten werden. Für eine Verstimmung zwischen Bern und Sumiswald sorgte dann allerdings die Meldung, dass die Emmentaler Gemeinde aus der Konfiskationsmasse entgegen den Regeln bereits zwei Schulhäuser gebaut hatte und darum kaum noch viel Geld übrig sei. Infolge seines Eifers in der Bekämpfung des Täufertums sah man in Bern allerdings von einer Rüge und weitergehenden Strafen für das Dorf ab. Und als Durs Aebis Sohn Andres aus dem Kraichgau im Mai 1683 im Namen seiner sieben Kinder um die Herausgabe ihres Anteils am konfiszierten Gut seines Vaters bittet, wird ihm dies verweigert – vielsagenderweise „aus unterschiedenlichen genugsamen Betrachtungen».[13] Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verblieben von den ursprünglich 5000 Pfund an konfisziertem Besitz der Aebis eh nur noch 500 lb im Täufergut der Gemeinde Sumiswald…[14]

Die letzte Notiz zu Durs Aebi in bernischen Akten ist ein Eintrag im Ratsmanual vom 26. Mai 1684, wonach neben anderen auch der «betagte und lahme Aebi aus dem Emmental» aus dem Waisenhaus ausgebrochen sei. Noch einmal erging der Auftrag an den Grossweibel, er solle nachforschen, wie das geschehen konnte und wer derjenige sei, der den Täufern zur Flucht verholfen haben soll.[15]

Von den Nachfahren Aebis wissen wir, dass einige von ihnen sich auf Dauer im Kraichgau und in der Pfalz niederliessen. Andere gehörten zu den Auswanderergruppen, die vor allem seit 1717 via Mannheim und Rotterdam nach Nordamerika aufbrachen, sich in Pennsylvania eine neue Existenz aufbauten und sich von dort aus mit einer zahlreichen Nachkommenschaft weiter verbreiteten.[16]


[1] StABE, A II 473, 549; A II 474, 1; B III 194a.
[2] Vgl. dazu etwa StABE, KB Oberburg 2, 275.
[3] GA Sumiswald Rechenbuch I.
[4] StABE, A I 487,562f.; A II 474, 47; B VII 2059, 37ff.

[5] Hans Burkhalter 28, Peter Brand 46, Niklaus Baltzli 30, Ueli Zaugg 30. Hans Lörtscher (Lötscher), Melchior Lörtscher (Lötscher), Hans Wenger (hat 9K), Peter Herdeicher (1K), Jörg Friedrich (3K), Michael Sterchi (3K).
[6] StABE, A II 475, 358; B VII 54, 93f.
[7] SAA 565 A, 1196 und 1199, ferner 1411.​​​​​​​
[8] StABE, A II 498, 104.125; B VIII 2059.​​​​​​​
[9] StABE, A II 499, 243f.277.​​​​​​​
[10] StABE, B III 121, 129ff.​​​​​​​
[11] StABE, A II 499, 243f; A II 502, 139; A II 503, 332f.394f.405f.; A II 504, 21.36f.60.109.292.311; A II 505, 70f.75.96.​​​​​​​
[12] StABE, A II 509, 343.411f.​​​​​​​​​​​​​​
[13] StABE, A II 509, 522f.550f.; A II 510, 650; A II 511, 246.​​​​​​​
[14] Gemeindearchiv Sumiswald, Rechenbuch V.​​​​​​​
[15] StABE, A II 511, 408f.​​​​​​​
[16] Vgl. dazu Newman, George Frederick, The Aebi-Eby families of Switzerland, Germany and North America, 1550-1850 , Huntingdon Valley, PA : NMN Enterprises, 2003.